Tolerant sein
„So können wir jedem Kind geben, was es braucht.“
Paul* ist 14 und lebt mit seinen Schwestern in der Hephata-Jugendhilfe. Er hat eine Behinderung, seine Geschwister nicht. Die Hephata-Jugendhilfe ist eine von wenigen Einrichtungen in Hessen, in der das so möglich ist.
* Der Name ist geändert.
„Wir helfen jedem Kind, mit oder ohne Behinderung“, sagt Kindheitspädagogin Hanna Eisenacher (29). Sie leitet das Projekt „Inklusive Jugendhilfe“
Der Alltag hört sich an, wie der von vielen anderen Kindern auch: Paul geht in die Schule, spielt Playstation und Fußball, ist Fan von Schalke 04. Er geht zum Jugendtreff, schläft morgens gerne aus und hört Wincent Weiss. Dass er eine Behinderung hat, ist hier eine Nebensache. Bei der Finanzierung seiner Hilfen sieht das anders aus.
Bisher leben in Deutschland noch die meisten Kinder mit Behinderungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Und Kinder ohne Behinderungen leben in Einrichtungen der Jugendhilfe. Kinder mit Behinderungen bekommen Eingliederungshilfe, die die Landkreise und Sozialämter zahlen. Kinder ohne Behinderungen erhalten Jugendhilfe, die die Jugendämter zahlen.
Dabei bekommen Kinder in der Jugendhilfe mehr finanzielle Leistungen als Kinder in der Behindertenhilfe. Zum Beispiel bekommen Kinder mit Behinderungen 40 Euro Kleidergeld im Monat. Kinder in der Jugendhilfe 55 Euro im Monat. In der Arbeit mit Kindern mit Behinderungen kommt 1 Fachkraft auf 1,8 Kinder. In der Jugendhilfe ist es 1 Fachkraft für 1,2 Kinder.
Das gilt noch bis zum Jahr 2028. Ab dann soll das neue Kinder- und Jugend-Stärkungs-Gesetz in Kraft treten: Kinder in Deutschland, die Hilfe brauchen, bekommen dann nur noch Leistungen von der Jugendhilfe. Und für diese wird es eine einheitliche Finanzierung geben. „Wir wollen aber schon vorher etwas ändern“, sagt Hanna Eisenacher.
Bereits 2021 ist das Projekt „Inklusive Jugendhilfe“ zwischen der Jugendhilfe und der Sozialen Teilhabe Hephatas gestartet. Seit Sommer 2023 leben bei Hephata Kinder mit und ohne Behinderungen nur noch in der Jugendhilfe. „Wir sind dabei, für die Zeit bis 2028 eine finanzielle Sonder-Regelung mit dem Jugendamt zu vereinbaren.“
„Wir lernen gerade viel und werden kreativer. Nur so können wir jedem Kind das geben, was es braucht.“
Das Projekt „Inklusive Jugendhilfe“ läuft in 4 Wohngruppen. In der einen leben vor allem Kinder von 5 bis 12 Jahren, in den anderen zwischen 6 und 18 Jahren, mit und ohne Behinderungen. „Wir haben gemerkt, dass es in der Jugendhilfe nicht in allen Wohngruppen ein Angebot für alle geben kann,“ so Eisenacher. "Zum Beispiel wird ein Mädchen mit einem Gewalt-Trauma nicht mit einem Jungen mit starkem Autismus zusammenleben können. Es kommt auf die Gesamtlage an.“
In den 4 Wohngruppen sind einige Kinder Geschwisterkinder. Einige besuchen die Hephata-Förderschule, andere das Gymnasium der Stadt. Paul und seine 2 Schwestern leben in der Hephata-Jugendhilfe, weil ihre Eltern sich nicht gut um sie gekümmert haben. Es gibt den Verdacht von schwerer sexueller Gewalt. Das Jugendamt hat sie aus der Familie genommen und die Hephata-Jugendhilfe um Hilfe gebeten.
In der Jugendhilfe sind sie glücklich. Paul ist Gruppensprecher und Mitglied im Mitbestimmungsrat. Er lacht viel. Und hat sich jetzt getraut, aus der inklusiven Kindergruppe in die inklusive Jugendgruppe zu ziehen, ohne seine Schwestern. „Mir gefällt es hier gut. Hier darf man manchmal länger aufbleiben“, sagt er. Hanna Eisenacher weiß: „Wir lernen gerade viel und werden kreativer. Nur so können wir jedem Kind das geben, was es braucht.“