Chancen geben
„Hier kann ich alles rauslassen.“
„Ich habe zu Hause gesessen und gedacht: „Mist. Es ist erst 11 Uhr und Du hast schon 2 Bier getrunken. Das bekomme ich alleine nicht mehr hin. Ich brauche Hilfe.“ Die findet Klaus Müller (55)* in der Beratungsstelle Jugend, Drogen und Sucht der Hephata Diakonie. Seit Sommer 2022 kommt er regelmäßig für Gespräche zu Sozialpädagoge André Baumgarten.
* der Name ist geändert
„Mit dem Alkohol hat es mit 14 Jahren angefangen. Da bin ich jedes Wochenende auf einer anderen Feier gewesen“, sagt Klaus Müller. Trotzdem macht er eine Lehre als Zimmermann. Doch nach einem halben Jahr im Job ist klar: Das ist nicht das Richtige. Danach leistet Klaus Müller seinen Bundeswehr-Dienst und bleibt 6 weitere Jahre: Unter anderem ist er in Bosnien und Mazedonien. Dort sieht er Dinge, die sein Leben bis heute verändert haben. „Ich habe darüber lange Zeit nicht sprechen können. Ich habe einfach weitergemacht.“
Er nimmt nun auch illegale Drogen wie Kokain und Heroin. Und macht trotzdem eine weitere Ausbildung, wird aber auch hier nicht glücklich. Schließlich arbeitet er in der Lagerhaltung verschiedener Unternehmen - bis er 2018 einen Herzinfarkt bekommt. Dazu kommt kurze Zeit später eine Verletzung an der Schulter. Klaus Müller kann deswegen nicht mehr in seinem Beruf arbeiten.
„Danach ging es richtig los mit dem Alkohol. Vor allem als die Corona-Pandemie dazu gekommen ist. Ich habe nur noch alleine zu Hause gesessen und Angst gehabt, mich anzustecken. Ich habe keine Job-Angebote mehr bekommen. Die Operation an meiner Schulter ist immer wieder verschoben worden.“ Er zieht sich immer mehr von Freunden und Familie zurück.
„„Hier kann ich alles rauslassen, worüber ich mit Familie und Freunden nicht sprechen kann.“ “
Im Sommer 2022 kommt er dann zum ersten Mal zu André Baumgarten in die Beratungsstelle. „Hier kann ich alles rauslassen, worüber ich mit Familie und Freunden nicht sprechen kann.“ André Baumgarten sagt: „Jedes Sucht-Problem steht für etwas. Bei Herrn Müller sind es unter anderem die Erlebnisse in der Bundeswehr-Zeit. Und die Corona-Pandemie.“
Zusammen mit einer Kollegin bietet Baumgarten, auch für Angehörige, Gespräche und psychosoziale Begleitung. Sie stellen den Kontakt zu anderen Beratungsstellen und Hilfen her. Und begleiten die Klient*innen auch auf Wunsch dorthin. Dazu kommt die telefonische Beratung. Aber auch Informationstage in Schulen und Vorträge. Die Beratung ist kostenlos. André Baumgarten und seine Kollegin unterliegen der Schweigepflicht. Im letzten Jahr haben sie mehr als 130 Menschen beraten, insgesamt 800 Termine.
„Viele Klient*innen begleiten wir über Jahre.“
Klaus Müller ist am Anfang jede Woche gekommen. Jetzt nur noch alle 14 Tage. André Baumgarten hat ihm zugehört. Gemeinsam haben sie Pläne für ein Leben ohne Alkohol und Drogen entwickelt. Sie haben Anträge gestellt und Formulare ausgefüllt. André Baumgarten hat ihm einen Platz für eine Langzeit-Therapie vermittelt. Und ihm einen Psychotherapeuten empfohlen.
Klaus Müller trinkt jetzt weniger und nur noch am Wochenende Alkohol. Das ist für ihn ein erster Erfolg. Er hat seiner Mutter und seinen Freunden von seinen Problemen erzählt. „Ich habe jetzt auch wieder mehr Kontakte, gehe auf Konzerte oder angeln.“ Vorher ist er nur in Kneipen oder zu Grillfesten gegangen. Denn da ist es nicht aufgefallen, dass er trinkt.
„Früher hat jedes neue Problem dahin geführt, dass ich wieder Alkohol getrunken habe. Heute telefoniere ich mit Herrn Baumgarten, dann gehen die Gedanken wieder weg“, sagt Klaus Müller.