Mit einer Selbstverständlichkeit findet sich Lothar V. in der Küche zurecht und weiß, was zutun ist. „Es läuft alles nach Plan.“ Nach Plan ist in seinem Leben hingegen eigentlich nichts gelaufen und, umso „wichtiger ist mir mein Platz hier“, sagt er. Dann legt er seine Küchenutensilien zur Seite, setzt sich auf einen Stuhl und kommt kurz zur Ruhe. „Seit 1990 habe ich getrunken. Auslöser war meine Scheidung, danach beging mein Bruder Suizid und die Abwärtsspirale nahm seinen Lauf“, sagt V. während sein Blick zwischen Boden und Tisch umherschweift. 
Und es ging noch weiter bergab: Wenig später fand er sich in einer Obdachlosenunterkunft in Limburg wieder. Zuvor betrank er sich Tag und Nacht am Limburger Bahnhof. Zwei bis drei Monate lebte er dort, genau weiß er es nicht mehr. „Ein Sozialbetreuer hat mich zur Entgiftung gebracht. Und dann packten wir meine Sachen und es ging hier her nach Halbersdorf“, sagt er während er mit seinen Fingern auf den Tisch deutet. Das war 2008. Zu diesem Zeitpunkt war Lothar V. schon mehr als zwei Jahrzehnte alkoholkrank. „Ich bezog mein Zimmer und am nächsten Tag fing mein neues Leben an“, sagt er.

„Es gibt gute und schlechte Tage. Auf dem Hof habe ich aber eine Struktur und ein Umfeld, die mich vom Alkohol fernhalten und mir draußen fehlen“

Lothar V.


Auf dem Gut Halbersdorf arbeiten Klient*innen in verschiedenen Arbeitsbereichen. „Lothar V. hat seither so gut wie jeden Arbeitsbereich auf dem landwirtschaftlichen Hof kennengelernt“, erklärt Einrichtungsleiterin Nadine Florczak. Und Lothar V. zählt mit den Händen auf: „Zuerst war ich bei der Kartoffelverarbeitung, danach in der Küche, dann war ich Reinigungskraft, als viertes war ich im Kiosk beschäftigt, bis ich letztlich in der Küche gelandet bin.“ Und dort fühlt er sich wieder wohl, denn zwischenzeitlich hatte V. auch eine Anstellung über einen BiB-Platz (Betriebsintegrierte Beschäftigung) in einem Lebensmittelhandel in der Region gefunden und eine eigene Wohnung bezogen. Alle Zeichen deuteten auf einen Neuanfang nach einer jahrelangen Suchterkrankung hin: „Aber das war wieder nichts. Ich habe wieder angefangen zu trinken, weil ich alleine war“, und V. presst seine Lippen fest zusammen und schiebt sich seine weiße Kappe tiefer ins Gesicht. 


Hier, auf dem Gut Halbersdorf finden unangekündigte Urintests statt, die den Klient*innen dabei helfen sollen, abstinent zu bleiben. Dazu gibt es ein sozialpädagogisches und fachärztliches Angebot für Klient*innen, erklärt Florczak. „Unser Augenmerk liegt darauf, unseren Klient*innen eine Tagestruktur durch sinnvolle Aufgaben zu bieten, und ihnen damit ein abstinentes und gesundes Leben zu ermöglichen“, sagt sie. Und Lothar V. ergänzt: „und so ist immer jemand zum Reden da.“ Diese Gespräche, die Tagesstruktur und das Miteinander auf dem Hof sei das, was ihm in seiner Wohnung gefehlt haben. 


Dann also wieder die Rolle rückwärts: Der 53-Jährige zieht erneut in ein Zimmer in einer Wohneinrichtung des Hofes in Halbersdorf und: „Jetzt bin ich trocken seit mehr als vier Jahren und ich will es auch bleiben“, sagt er entschlossen. Aber es ist ein harter Weg, weiß Lothar V. selbst: „Es gibt gute und schlechte Tage. Auf dem Hof habe ich aber eine Struktur und ein Umfeld, die mich vom Alkohol fernhalten und mir draußen fehlen“, sagt er.  

Dazu gehört unter anderem, dass er gemeinsam im Team einen Wochenspeiseplan vorbereitet und eigene Ideen einbringt. „Kohlrouladen sollten bald mal auf dem Plan stehen – das wäre toll“, sagt er, steht wieder auf und greift wieder nach den Kartoffeln, „denn es wird langsam Zeit, die Leute warten nicht gerne auf ihr Essen“, lacht V. und dann ist der 53-Jährige wieder vollkonzentriert.

Das Gut Halbersdorf: Rund 560 Tonnen Kartoffeln für die Region

Auf dem Gut Halbersdorf sind 58 Menschen mit und ohne eine psychische Beeinträchtigung beschäftigt. Klient*innen leben zum Teil auch gemeinsam in Wohngruppen, die zum Gut gehören. Das Gut ist in drei Arbeitsbereiche aufgeteilt: Kartoffelverarbeitung, landwirtschaftlicher Betrieb und die Hauswirtschaft. Etwa hundert Kühe, mehrere Dutzend Schweine und Schafe gehören zum Viehbetrieb auf dem Hof, der erstmals 1362 urkundlich erwähnt wurde. 1989 übernahm Hephata als Träger den landwirtschaftlichen Betrieb.

Der größte Bereich auf dem Hof ist die Kartoffelverarbeitung: Rund 560 Tonnen Kartoffeln können auf dem Hof jährlich eingelagert werden. Diese stammen zu 70 Prozent vom Hephata Hofgut Richerode, die restlichen Tonnen werden von ortsansässigen Landwirten angeliefert und von Klient*innen weiterverarbeitet. Etwa 370 Tonnen werden für den Einzelhandel verpackt, der Rest wird geschält, eingeschweißt und an Mensen im Umkreis geliefert. Ziel einer Beschäftigung auf dem Hof ist es, den Menschen eine Tagesstruktur zu bieten und ihnen ein abstinentes Leben zu ermöglichen.