Forschung
Studie zu Selbstwirksamkeit
Für Menschen mit Epilepsie läuft seit 2020 in Zusammenarbeit der Neurologie der Hephata-Klinik und der Philipps-Universität Marburg eine wissenschaftliche Studie. Gegenstand der Untersuchung ist ein neu entwickelter Fragebogen zu Selbstwirksamkeit, Selbstwahrnehmung und sozialer Unterstützung für Betroffene und deren Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf.
Die eigene Krankheit besser verstehen und auf ihren Verlauf Einfluss nehmen zu können, ist eines der zentralen Anliegen der Studie, die Psychologin Catrin Schöne, Hephata-Klinik, und Masterstudentin Mona Rauschkolb, Fachbereich Psychologie Uni Marburg, initiierten und umsetzen. Der Schlüssel dazu liegt in der Selbstwirksamkeit der Betroffenen: „Die Psyche kann den Verlauf von chronischen Krankheiten beeinflussen. Menschen, die glauben, schwierige Situationen beeinflussen zu können, meistern Herausforderung und Krisen einfacher. Ihnen kann die Wahrnehmung anfallsbezogener Symptome helfen, um mit der Anfallserkrankung besser zurecht zu kommen“, sagt Catrin Schöne, Leiterin und Koordinatorin der Studie.
Doch der Glauben an die eigenen Kräfte, an Selbstwirksamkeit, ist bei Menschen mit Epilepsie oftmals nicht stark ausgeprägt. „Wenn die Betroffenen trotz Behandlung weiterhin Anfälle haben, dürfen sie selbst nicht Auto fahren und sind auch in anderen Bereichen auf Hilfe angewiesen. Die Anfälle bedeuten also nicht nur einen gravierenden Kontrollverlust über den eigenen Körper, sondern auch über das eigene Leben. Daraus resultieren oft psychische Probleme, die wiederum den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen“, weiß Catrin Schöne.
Ziel der Studie
Ziel der Studie ist es, anhand eines neu entwickelten Fragebogens die Selbstwirksamkeit, Selbstwahrnehmung und soziale Unterstützung bei Menschen mit Anfallsleiden messbar zu machen und daraus psychotherapeutische Therapien abzuleiten. In der ersten Version beantworteten deutschlandweit 94 Betroffene den Fragebogen, in einer anhand der Ergebnisse der ersten Version bearbeiteten, zweiten Fassung 70 weitere. Unter anderem beteiligten sich das Epilepsiezentrum Bethel, das Sächsische Epilepsiezentrum Radeberg, das Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg und das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf in Hamburg, das Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, das Universitätsklinikum Freiburg und die Universitätsklinik Tübingen an der Studie. Neben den deutschen Kolleg*innen Dr. Rosa Michaelis, Psychotherapeutin und Neurologin am Knappschaftskrankenhaus Bochum, und Prof. Dr. Dr. Martin Peper, Neuropsychologe an der Philipps-Universität Marburg, war beim ersten Durchlauf auch Prof. Dr. Markus Reuber an der Universität Sheffield beteiligt. In Großbritannien wurden 290 Patient*innen-Fragebögen erfasst.
Ergebnisse
Die Datenerhebung zur Studie ist mittlerweile abgeschlossen. Ergebnisse sind: „Die soziale Integration, die Einbeziehung in soziale Netzwerke, hat eine sehr große Bedeutung für die positive Beeinflussung der Psyche der Betroffenen und damit auch auf den Umgang mit der Krankheit.“ Ebenfalls wichtig für eine positive Selbstwirksamkeit ist laut Studie die emotionale Unterstützung, also Anteilnahme, Empathie, Verständnis, Akzeptanz und Gesprächsangebote. „Ein Mensch, der diese emotionale Unterstützung einfordern, sich öffnen kann, bekommt auch mehr davon und fühlt sich psychisch entlastet. Im Rückschluss haben Betroffene, die weniger über ihre Probleme reden, auch weniger soziale Unterstützung“, so Schöne. „Das führt häufig dazu, dass die Erkrankung auf emotionaler Ebene stärker präsent ist. Die Betroffenen halten ihre Erkrankung für schlechter behandelbar und befürchten mehr negative Folgen auf ihre Lebensführung.“
Als weniger wichtig beim Thema Selbstwirksamkeit erwies sich hingegen die praktische Unterstützung. „Die praktische Unterstützung ist in dem Moment wichtig, ja. Aber viele Patient*innen empfinden die praktische Unterstützung wie Blumengießen, Einkaufengehen oder Fahrdienste auch als psychisch belastend. ,Ich mache das für Dich‘ – das ist anscheinend nicht immer nur entlastend.“
Catrin Schöne hält die Ergebnisse für so wichtig, dass in der Therapie darauf eingegangen werden müsse. Zum einen in der Praxis: „Ich frage meine Patient*innen nun nicht mehr nur danach, ob sie jemand fährt. Ich schaue auch, wie gut können sie sich öffnen und Hilfe einfordern.“ Zum anderen aber auch im Alltag der Betroffenen. Dazu hat sich Catrin Schöne mit der Deutschen Epilepsievereinigung vernetzt, die als Selbsthilfegruppe deutschlandweit aktiv ist. „Wir möchten gemeinsam in der Hephata-Klinik Informationsveranstaltungen zur Studie und Anfallsleiden generell anbieten.“
- Die Ergebnisse der Studie wurden bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP) 2022 präsentiert und seit 2022 auf den Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) vorgestellt. Außerdem gab es mehrere Informationsveranstaltungen der Deutschen Epilepsievereinigung zum Thema.
- Ein Artikel zur Studie ist in der Zeitschrift für Neuropsychologie 3/2022 erschienen.