„Wir versuchen, Kindern Halt zu geben, die keine Liebe erfahren haben“, sagt Anette Maaß, Gruppenleiterin der Intensivpädagogischen Wohngruppe in Balduinstein. „Nach uns gibt es keine großen Optionen mehr.“

Die gab es für Ella auch schon vorher nicht: Ihren Vater und ihre fünf Halbgeschwister hat sie nie kennengelernt. Ihre Mutter war erst 16 Jahre alt, als Ella zur Welt kam. Zusammen lebten sie in eine Mutter-Kind-Gruppe der Jugendhilfe, dann gab die Mutter ihre Tochter ab. Ella kam in Pflegefamilien und 16 verschiedenen Wohngruppen, nirgendwo konnte die 15-Jährige lange bleiben: „Ich hatte oft Streit mit anderen und war gewalttätig. Manchmal kochen die Gedanken in meinem Kopf hoch und sind nicht gut für mich.“

Hilfe für vernachlässigte Kinder und Jugendliche

In der Wohngruppe in Balduinstein leben sieben Kinder und Jugendliche im Alter zwischen elf und 16 Jahren. Sie leben hier, weil sie herausforderndes Verhalten zeigen, anecken und nicht klarkommen in der Gesellschaft.

Die Päckchen sind geschnürt aus Bindungsstörungen, psychischen Störungen, Drogen- oder Alkoholkonsum in der Schwangerschaft, hauptsächlich aber aus zu wenig Zuneigung und Empathie im Elternhaus. „Viele von ihnen sind nie umarmt worden. Ella hat mal zu mir gesagt, dass sie gar nicht weiß, wie es ist, mit einer Mama und einem Papa zu leben. Ich habe ihr gesagt, dass wir die Familie nicht ersetzen können, aber dass wir für sie da sind und ihr helfen“, sagt Anette Maaß.

„Es gibt immer mehr junge Kinder und Jugendliche, die nicht gesellschaftskonform, nicht mit der Gesellschaft verträglich sind.“

Max Gowin, Pädagoge

Die Betreuung in der Wohngruppe ist deswegen intensiv, mit einem Personalschlüssel von 1:1, die Warteliste lang. Intensivpädagogische Einrichtungen wie diese sind gefragt: „Es gibt immer mehr junge Kinder und Jugendliche, die nicht gesellschaftskonform, nicht mit der Gesellschaft verträglich sind“, sagt Max Gowin. Seine Kollegin ergänzt: „Für mich sind es traurige Seelen, die Zeit und Lob brauchen und Liebe wollen.“ Das versucht in der WG in Balduinstein ein Team aus Voll- und Teilzeitkräften zu geben. Meistens sind drei Mitarbeitende gleichzeitig im Dienst, nachts einer.

Intensive Betreuung ist der Schlüssel zum Erfolg

Zwei Jugendliche werden in der Wohngruppe unterrichtet, weil ein Schulbesuch für sie nicht möglich ist. Ella besucht stundenweise eine Förderschule, in Begleitung einer Mitarbeiterin. Die kümmert sich mit einer halben Stelle nur um Ella, geht mit ihr zu Therapien und Terminen, unternimmt mit ihr Ausflüge und wird sie bald auch zum therapeutischen Reiten begleiten. Ansonsten gehen die Kinder und Jugendlichen mit den Mitarbeiter*innen zum Yoga, ins Schwimmbad oder Kino, machen zusammen Hausaufgaben oder kochen gemeinsam. Sie sind auch oft in der Natur unterwegs und haben sich mit dem Anbau von Obst- und Gemüse im Garten der Wohngruppe beschäftigt.

„Ella fängt langsam an, Vertrauen zu uns aufzubauen, über ihre Gefühle und Probleme zu reden. Sie ist bei uns anders. Sie kämpft jeden Tag mit sich.“

Anette Maaß, Gruppenleiterin

Ella wohnt seit April in einem der Einzelzimmer der Wohngruppe. Ihre Ausbrüche sind seltener und weniger intensiv geworden. Zwei Stück waren es bislang. Beim ersten holte sie selbst das Telefon, damit die Mitarbeiter*innen die Polizei anrufen. Denn so war das in der Vergangenheit oft gelaufen. „Sie war überrascht, dass wir das nicht getan und die Situation mit ihr ausgehalten haben“, sagt Max Gowin. „Ella fängt langsam an, Vertrauen zu uns aufzubauen, über ihre Gefühle und Probleme zu reden. Sie ist bei uns anders. Sie kämpft jeden Tag mit sich“, so Anette Maaß.

Ungeliebte Kinder brauchen Empathie und Zuneigung

Ellas Ziele sind es, Freunde zu finden und ihre 200 Kilometer entfernt lebende Oma wiedersehen zu können. Sie sagt: „Ich wünsche mir so sehr, dass ich es schaffe, nicht mehr so schnell auszurasten und mehr zu reden. Manchmal denke ich, dass ich kein gutes Mädchen bin.“ Anette Maaß tröstet Ella und sagt: „Wir sind von Ella sehr überrascht und stolz auf sie. Wir nehmen sie und die anderen an die Hand und zeigen ihnen, da geht es lang. Sonst sind sie manchmal im Leben verloren.“

*Name von der Redaktion geändert

Kinder und Jugendliche, die Vernachlässigung und (seelische) Gewalt statt Förderung und Liebe erfahren haben, fördert die Hephata Diakonie in Wohngruppen, Familien und in Tagesgruppen in Hessen und Rheinland-Pfalz.

Dabei sind wir auch auf Unterstützung angewiesen. Jeder Euro hilft dabei, dass ungeliebte Kinder die Förderung erhalten, die sie benötigen. Damit erhalten Kinder, die sonst aus dem Raster fallen, die Chance, Wertschätzung zu erleben und ihre Talente, Fähigkeiten und Interessen in einem sicheren Umfeld entwickeln zu können. Vielen Dank für die Hilfe!