Olena Pevnaya (35) packt nur das Nötigste: Vier Taschen mit Dokumenten, Kleidung und Essen. Mehr können sie und ihre beiden Söhne auf der Flucht aus der Ukraine nicht tragen. „Ich hatte Angst um das Leben meiner Söhne und wollte nur Schutz.“ Vor einem Jahr, am 11. März 2022, kommt die Familie in der Jugendhilfe-Wohngruppe Hephatas für geflüchtete Menschen in Treysa an. Hier finden sie Schutz und den Start in ein neues Leben.   

Olena Pevnaya ist geschieden. In der Ukraine lebt sie mit ihren Söhnen in der Nähe ihrer Eltern und Schwester. Ihr Vater und ihr Schwager sind wehrpflichtig und dürfen das Land nicht verlassen, also bleiben auch die Frauen. Bis zu dieser Nacht Anfang März 2022, als wieder die Sirenen heulen und Bomben fallen. „Es fällt mir heute noch schwer, daran zu denken.  Aber ich hatte Angst, dass meine Kinder eingezogen werden. Also habe ich sie gepackt und bin geflohen.“ Ihre Eltern hat sie seitdem nur noch per WhatsApp gesehen.

Mit dem Zug ins Nirgendwo

Olena Pevnaya und ihre Söhne fahren zwei Tage mit dem Zug Richtung Polen. Der Zug ist so überfüllt, dass sie stehen müssen. Plötzlich hält der Zug im Nirgendwo, alle müssen raus. Die Nacht verbringen sie auf ihren Taschen sitzend. Am nächsten Tag geht es mit einem anderen Zug 24 Stunden weiter bis an die Grenze. Danach zu Fuß, mit Zug und Bus bis nach Berlin. „Ich habe vorher nie die Ukraine verlassen, die Sprache nicht verstanden und nicht gewusst, was mit uns passiert“, erinnert sich Olena Pevnaya.

Sie kommen erst in eine Sammelunterkunft in Gießen, dann in Alsfeld und schließlich in die Wohngruppe der Hephata-Jugendhilfe in Schwalmstadt-Treysa für geflüchtete Menschen aus der Ukraine. „Wir sind am 11. März 2022 in der Wohngruppe angekommen, das werde ich nie vergessen“, sagt Olena Pevnaya. Hier wartete Erzieherin Tanja Sawatzky (40) auf sie.

„Ich habe vorher nie die Ukraine verlassen, die Sprache nicht verstanden und nicht gewusst, was mit uns passiert.“

Olena Pevnaya

Tanja Sawatzky arbeitet in der Berufshilfe der Jugendhilfe eigentlich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Probleme beim Übergang von der Schule in den Beruf haben. Aber, sie ist im Jahr 2000 als Spätaussiedlerin selbst aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, spricht Russisch, hat Freunde in der Ukraine und in Russland, hat 2015 bereits bei der Betreuung syrischer Flüchtlinge geholfen – und ist wieder bereit, zu helfen. Sie wird die Bezugsperson für die 26 Flüchtlinge in der Wohngruppe.

Viel Bürokratie, viele Wege

Olena Pevnaya sagt: „Tanja hat uns sehr viel geholfen. Sie hat Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft gezeigt. Sie hat viel mehr gemacht als nur ihren Job. Sie hat meine Seele beruhigt, uns bei allem unterstützt und uns nicht verlassen.“ Tanja Sawatzky geht mit zu Behörden, Ämtern und Ärzten. Sie hilft, Krankenkassenkarten und Ausweise zu beantragen. Nach zehn Tagen gehen die Kinder bereits in Kindertagesstätten und Schulen. „In der Ukraine gibt es nicht so viel Bürokratie. Das war völliges Neuland für die Geflüchteten. Und obwohl ich auf ein berufliches Netzwerk zurückgreifen konnte und viele Ansprechpartner schon gekannt habe, ist es viel Arbeit gewesen.“

„Tanja hat uns sehr viel geholfen. Sie hat Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft gezeigt. Sie hat viel mehr gemacht als nur ihren Job.“

Olena Pevnaya

Auch privat, denn Tanja Sawatzky hatte 2022 für drei Monate die Familie ihres Cousins aus der Ukraine bei sich zu Hause aufgenommen. „Das hat mich privat gefordert, beruflich die Arbeit in der Wohngruppe. Das war sehr emotional und gleichzeitig bereichernd. Die Entwicklung der Familien zu sehen, wie sie aufblühen und wieder anfangen zu leben. Das war toll. Mit Gelassenheit und Geduld haben wir viel erreicht.“

Zukunft in Deutschland

Oleh und Yehor besuchen die Intensivklasse der Schule im Ostergrund und wollen ihren Realschulabschluss machen. Yehor möchte wie so viele Jungs in seinem Alter Fußballspieler werden, Lionel Messi ist sein Vorbild. Tanja Sawatzky hat sich um eine Mitgliedschaft im Verein gekümmert. Zwillingsbruder Oleh interessiert sich fürs Boxen, auch hier hat Tanja Sawatzky den Kontakt zu einem Verein hergestellt. Olena Pevnaya hat in der Ukraine als Chemielaborantin gearbeitet. Sie hat den A1-Sprachkurs bestanden und absolviert gerade den auf A2-Niveau. Sie möchte in Deutschland Arbeit finden.

Mittlerweile haben alle Frauen und Männer der Wohngruppe Sprachkurse besucht oder besuchen sie noch. Die 14 Kinder gehen in Integrationsklassen an Schulen, ein Junge besucht die Hephata-Förderschule, vier gehen in die Kindertagesstätte. Zwölf Familien sind bereits aus der Wohngruppe ausgezogen, darunter auch Olena Pevnaya und ihre Söhne. Das Jobcenter bezahlt ihnen seit November eine 2-Zimmer-Wohnung in der Treysaer Altstadt.

 „Die Wohnung hat uns Tanja besorgt. Ohne sie hätten wir das alles nicht geschafft. Ich bin sehr froh, dass wir hier leben können. Wenn ich die Nachrichten aus der Ukraine sehe, empfinde ich Trauer und Hilfslosigkeit. Aber so lange meine Familie noch lebt, versuche ich, froh zu sein“, sagt die 35-Jährige. „Die Menschen hier sind so herzlich und gelassen, alles ist so ruhig und ohne Streit“, sagt Yehor. Seine Mutter ergänzt: „Ich wünschte mir, dass der Krieg zu Ende geht und unsere Familie wieder zusammen sein kann!“

Das Spendenprojekt

Der Schwalm-Eder-Kreis fragte lediglich eine Unterkunft für die Frauen und Kinder an. Mehr finanzieren die Behörden nicht. Alle Hilfsleistungen und Investitionen, die eine Integration der geflüchteten Frauen und Kinder ermöglicht, stemmt Hephata aus Eigenmitteln.

Daher bitten wir Sie um Ihre Hilfe: Unterstützen Sie die Hilfe für geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Die geflüchteten Familien sollen eine Perspektive erhalten: Die Kinder in örtliche Vereine vermitteln, die Deutschkenntnisse weiter verbessern und Möglichkeiten einer beruflichen Chance für die Mütter finden. Diese umfassende Unterstützung kann Hephata auf Dauer nur durch Spenden ermöglichen!