Vorurteile und Realität
Die WfbMs haben nichts an Sinn und Notwendigkeit verloren
Michaela Landgrebe, Werkstattleitung Soziale Rehabilitation, und Hans-Günter Kripko, Werkstattleitung Soziale Teilhabe (ehemals Behindertenhilfe), geben im August 2024 Antworten auf die häufigsten Fragen rund um das Thema Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbMs).
Hans-Günter Kripko: Ich würde sagen, da stimmt. Aber nicht, weil wir die Menschen nicht aus den WfbMs rausentwickeln oder behalten wollen, weil sie vielleicht Leistungsträger sind. Das hat etwas mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu tun. Es wird sortiert in allgemeiner Arbeitsmarkt und erwerbsunfähig. Die meisten Firmen sind nicht reif dafür, unsere Klientinnen und Klienten zu beschäftigen. Die Firma XY könnte Klientinnen und Klienten einstellen, auch wenn diese als erwerbsunfähig gelten, macht es aber nicht. Weil es manchmal nicht so einfach ist.
Michaela Landgrebe: Ich kenne keinen Arbeitgeber, der viel Verständnis für einen Menschen in einer akuten Phase einer psychischen Erkrankung hat, in der dieser vielleicht verhaltensauffällig wird, die Arbeit einstellt und nur am Tisch sitzt, weil er eben gerade nur sitzen kann. Hinzu kommen in der Regel deutlich mehr Krankheitstage, die in einem Betrieb, der nicht darauf vorbereitet ist, auch nicht gerade weniger werden.
Hans-Günter Kripko: Hinzu kommen auch Vorteile der WfbM, die die Klientinnen und Klienten schätzen, wie den Fahrdienst, der sie bringt und holt. Oder arbeitsbegleitende Maßnahmen, in denen sie während ihrer Arbeitszeit als Ausgleich Dinge machen können, die ihnen Spaß machen, wie Sport. Und es gibt noch andere Gründe, warum auch Klientinnen und Klienten von sich aus nicht aus der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln wollen: Die meisten kommen mit zirka 20 Jahren zu uns. Das heißt, mit 40 Jahren haben sie bereits einen Rentenanspruch nach Erwerbsminderungsrente. Dieser rentenrechtliche Nachteilsausgleich fällt jedoch weg, wenn das Budget für Arbeit in Anspruch genommen wird. Bei einem BiB-Arbeitsplatz entfällt dieser Anspruch nicht. Dazu ist der Gesetzgeber gefragt, sich Gedanken zu machen.
Michaela Landgrebe: Wir vermitteln viele Klientinnen und Klienten auf BiB-Arbeitsplätze, manche bereiten wir Jahre darauf vor, sie sind hoch motiviert und müssen dann doch die Erfahrung machen, dass es nicht funktioniert. In der Sozialen Rehabilitation kommen viele wieder zurück, weil sie den Anforderungen auf Dauer nicht gewachsensind.
Hans-Günter Kripko: Die Struktur der BiB-Plätze gibt es nur in Hessen, hier arbeiten 2.000 Menschen mit Behinderungen aus WfBMs auf BiB-Plätzen. Sie bleiben unter dem Dach der WfbM, arbeiten aber in einem anderen Betrieb, können ein bisschen mehr Geld verdienen und es ist regelbar, was die Arbeitsbelastung betrifft. In der Sozialen Teilhabe ist es eher die Ausnahme, wenn jemand abbricht. Seit 2018 gibt es außerdem das Budget für Arbeit: Wenn Betriebe bereit sind, für bestimmte Arbeitsleistungen 500 Euro zu zahlen und dann noch einen Lohnkostenzuschuss bekommen, um Mindestlohn zahlen zu können, außerdem auch die Klient*innen vorher in einem Praktikum oder einem BiB kennenlernen konnten und dieser noch von der WfbM begleitet wird, dann können sie sich auch vorstellen, ihn einzustellen. Das gilt aber eben nur für einen Teil der Klientinnen und Klienten.
Hans-Günter Kripko: Wir müssen uns immer wieder den Bedarfen der Klientinnen und Klienten anpassen. Generell kommen heute weniger Menschen mit geistigen und Mehrfach-Behinderungen in die WfbMs. In der Sozialen Teilhabe sind Klientinnen und Klienten, die früher zu uns gekommen sind, heute viel zu leistungsstark, um in WfbMs zu arbeiten. Sie finden andere Beschäftigungsmodelle. Dafür kommen deutlich mehr Menschen mit sehr starken Behinderungen zu uns. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben sie keine Chance. Das bedeutet, die WfbM wird zunehmend zu einem Ort für Klient*innen mit, im Schnitt, höherem Unterstützungsbedarf. Dadurch wird allerdings die Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt herausfordernder. Darauf müssen wir reagieren.
Michaela Landgrebe: Menschen mit psychischen und/oder Abhängigkeits-Erkrankungen kommen heute auch erst mit 60 Jahren zu uns in die WfbM. Für diesen Personenkreis macht es keinen Sinn, krampfhaft über einen Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nachzudenken. Ein wesentliches Ziel ist für uns eine Öffnung: Die Verbesserung der Qualität der beruflichen Bildung, mittel- bis langfristig eine Ausweitung der Angebote (Schulungen, Teilausbildungen) und Zielgruppen (Menschen mit Lernbehinderung, ohne Schulabschluss, mit Migrationshintergrund). Die Werkstatt soll so gestärkt werden als ein Ort der Ausbildung und Qualifizierung. Eine Möglichkeit sind unter anderem theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildungen. Es ist zum Beispiel gut denkbar, dass jemand Freude daran hat, Autoreifen aufzuziehen und auszuwuchten, aber ansonsten keine Kenntnis von Autos hat. Warum sollte er dann nicht Profi-Reifen-Kenner werden? In der Landwirtschaft gibt es ähnliche Ansätze, wo Leute ausgebildet werden, beispielsweise mit Schweinen umzugehen, aber nicht mit Milchvieh. Wichtig ist, dass Qualifizierung und Bildung Aufgaben der WfbM sind. Denn wir sind die Menschen mit der Erfahrung und dem knowhow in dem Bereich.
Hans-Günter Kripko: Für eine gute Qualifizierung ist es wichtig, die betreffenden Arbeitsfelder vorzuhalten. Wir haben in der Sozialen Teilhabe zum Beispiel die Landwirtschaft, Gärtnerei, Hauswirtschaft, Papeterie, Bürsten- und Besenmacherei, Industriemontage und die Metallfertigung. Wir können die Klientinnen und Klienten da fördern, wo sie es wünschen und wo es für sie angemessen ist. Ich habe Jahre, in denen kein/e einzige/e neue/r Klient*in aus dem Berufsbildungsbereich zum Beispiel in die Gärtnerei oder in die Hauswirtschaft geht. Trotzdem habe ich die Struktur und das Personal und kann es jederzeit anbieten.
Hans-Günter Kripko: Würde man die WfbMs abschaffen, würden nicht alle Klientinnen und Klienten automatisch auf den allgemeinen Arbeitsmarkt kommen. Großbritannien hat diesen Weg versucht und festgestellt, dass die Menschen dann zu Hause sitzen. Ich kenne kein konkretes Modell, von dem ich denke, das sollten wir auch umsetzen. Das, was ich dagegen relativ häufig höre, ist, dass Deutschland weltweit das beste System hat, das es gibt.
Unsere Klientinnen und Klienten haben ein Recht auf Arbeit, das ist eine Errungenschaft. Das Recht gibt es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber nicht. Vielleicht wäre es die bessere Variante, zu sagen: Ich habe ein Recht auf Unterstützung, damit ich arbeiten kann. Ich habe ein Recht auf Job-Coaches aus der WfbM, die mich unterstützen und mit mir an die Arbeit gehen. Ich glaube, Menschen mit Behinderungen brauchen andere Menschen, die ihnen Unterstützung geben, und Firmen brauchen Menschen, die Probleme bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen lösen.Dann hätten wir vielleicht kein WfbM-Gebäude mehr und ganz viele Klientinnen und Klienten wären in Firmen tätig, wir wären eine Agentur zur Unterstützung. Aber dieses Modell würde für die Gesellschaft auf keinen Fall günstiger als das aktuelle und ist derzeit nicht umsetzbar.
Michaela Landgrebe: Wir merken eher im Dienstleistungsbereich, dass wir eine stärkere Nachfrage haben. Betriebe, denen Arbeitskräfte fehlen, kaufen dann Dienstleistungen bei uns ein, aber stellen nicht ein.
Hans-Günter Kripko: Im Einzelfall haben Klientinnen und Klienten vielleicht durch den Arbeitskräftemangel bessere Möglichkeiten, übernommen zu werden. Da erwarte ich mir vom Effekt der Technisierung oder Digitalisierung mehr. Ein Beispiel: Früher ist es für Menschen mit Behinderungen in der Regel so gut wie ausgeschlossen gewesen, an einer Drehmaschine zu arbeiten. Früher hat man jemanden gebraucht, der manuell drehen konnte. Heute muss die Maschine einmal von einer Fachkraft programmiert werden, danach müssen nur noch Teile eingelegt werden. Das ist dann eine leichtere Aufgabe, für die es einen Teile-Einleger braucht, der, wenn er zuverlässig ist, vielleicht auch Chancen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt hat.
Hans-Günter Kripko: Das ist individuell verschieden und die Bandbreite riesengroß. Wir haben einige Menschen, die vielleicht schon Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesammelt haben, die bei uns ähnlich arbeiten können wie in einem herkömmlichen Betrieb. Wir haben aber auch viele Klientinnen und Klienten, die nur arbeiten können, wenn ein Mitarbeiter neben ihnen sitzt und sie unterstützt. Wir haben Arbeitsfelder, in denen wir produktionsorientiert arbeiten und auch Produktionsziele erreichen müssen, auch hier mit der Organisation und Unterstützung Hauptamtlicher – und wir haben Arbeitsfelder, in denen wir nicht produktionsorientiert arbeiten. Unser Auftrag ist einfach generell ein anderer. Unsere Betreuungsleistung zielt nicht auf Gewinnmaximierung, sondern auf eine Teilhabe an Arbeit. Wir sind nicht dazu da, dass Menschen eine bestimmte Arbeitsleistung erfüllen. Das ist ein großer Unterschied zu herkömmlichen Betrieben.
Unternehmen ab 20 Mitarbeiter*innen müssen fünf Prozent der Arbeitsplätze an schwerbehinderte Menschen vergeben. Für jeden dieser Arbeitsplätze, der nicht besetzt ist, muss das Unternehmen eine monatliche Ausgleichsabgabe zahlen. Der Betrag wird kleiner, wenn ein Betrieb Aufträge an WfbMs vergibt.
Michaela Landgrebe: Ich sehe die Ausgleichsabgabe als einen Punkt von vielen, warum Firmen WfbMs beauftragen. Ein anderer Punkt ist beispielsweise: Ich habe in der Gastronomie nicht mehr das Personal, um Kartoffeln zu schälen, dann liegt es nah, geschälte Kartoffeln zu kaufen, zum Beispiel bei uns. Dann ist es vielleicht ein Benefit, dass sich die Ausgleichabgabe mit einem Auftrag an uns reduziert. Es ist aber nicht der Grund für den Auftrag.
Hans-Günter Kripko: Die Zahlungen der Ausgleichsabgabe gehen nicht direkt an die WfbMs, sondern an das Integrationsamt, das mit den WfbMs erstmal nichts zu tun hat. Das Integrationsamt unterstützt Menschen mit Schwerbehinderungen dabei, einen Arbeitsplatz zu bekommen und zu behalten. Nicht alle Menschen mit Schwerbehinderungen arbeiten in WfbMs. Und andersherum: Nicht alle Menschen, die in den WfbMs arbeiten, sind schwerbehindert. Ganz viele unserer Kunden wollen einen Auftrag an uns gar nicht ausgewiesen haben als Anrechnungsmöglichkeit auf die Ausgleichsabgabe, weil sie die Schwerbehindertenquote ohnehin erfüllen. Würde das Anrechnen von WfbM-Aufträgen gestrichen, würden wir vielleicht den ein oder anderen Kunden verlieren, den Großteil aber nicht. Und: Keine Firma denkt darüber nach, Schwerbehinderte einzustellen, um die Ausgleichsabgabe zu sparen.
Hans-Günter Kripko: Wir können als WfbM gar nicht als großer Player auftreten, der andere vom Markt verdrängt. Damit würden wir gegen unseren Auftrag verstoßen. Zwar ist es Teil unseres Auftrags, dass wir produzieren und am Markt auftreten. Und natürlich freuen wir uns auch, wenn wir Geld verdienen. Aber Hauptaufgabe ist die Habilitation und Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen. Deswegen füllen wir immer eine Nische aus, in der die Konkurrenz nicht so groß ist.
Michaela Landgrebe: Hinzukommt: Unsere Leistungen sind oft personalintensiv, da je nach Tätigkeit die Klientinnen und Klienten von Hauptamtlichen zum Teil intensiv betreut und begleitet werden. Deshalb können wir nicht immer unbedingt günstig sein. Wir halten Angebote vor, die für andere Firmen gar nicht attraktiv sind, vorzuhalten. Ein Beispiel dafür ist der Versandshop, der relativ kleine Auflagen bedient.
Hans-Günter Kripko: Nehmen wir das Beispiel Bio-Gemüse und -Obst, das wir verkaufen. Kundinnen und Kunden, die nach dem Preis gehen, kaufen vermutlich nicht bei uns ein, sondern im Discounter. Aber der Preis ist nicht immer das alles Entscheidende – auch für Betriebe nicht. Es gab schon einen Mitbewerber, der ein Angebot für Teile in der Industriemontage gemacht hat, das war 60 Prozent billiger als unser Angebot, weil die Teile aus Asien stammten. Trotzdem haben wir den Auftrag bekommen, weil wir ein Anbieter aus der Region sind und damit auch für mehr Sicherheit in der Lieferkette stehen.
Zwar können WfbMs teilweise einen verminderten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent veranschlagen, aber eben auch nicht für alles. Eine strenge Auslegung geht davon aus, dass die sieben Prozent nur für Produkte und Dienstleistungen, die Klientinnen und Klienten selbst hergestellt und produziert haben, gelten. Betreiben Sie beispielsweise ein Café und verkaufen Kaffee, dann sagen manche Finanzämter, der Café muss von Klientinnen und Klienten selbst hergestellt oder zumindest serviert werden. Es reicht nicht, dass eine Arbeitsgruppe von Menschen mit Behinderungen in dem Café arbeitet, dass Klient*innen Zuarbeiten oder Spüldienste übernehmen.
Michaela Landgrebe: In der WfbM der Sozialen Rehabilitation arbeiten Menschen mit psychischen und/oder Abhängigkeits-Erkrankungen, die mehr Pausen benötigen als gesunde Menschen. Vollzeit bei uns muss nicht zwingend 38,5 Stunden bedeuten. Bei uns gilt Vollzeit auch schon bei 32,5 Stunden. Da werden Pausen, Betreuungsleistungen und arbeitsbegleitende Maßnahmen, wie Sport- und Bewegungsangebote und gemeinsame Ausflüge, mit eingerechnet. Daraus ergibt sich bei einem 32,5 Stunden-Werkstattvertrag eine Netto-Arbeitszeit von 20 bis 23 Stunden pro Woche.
Hans-Günter Kripko: In unserer WfbM für Menschen mit geistigen und Mehrfach-Behinderungen ist das genauso. Bei uns nehmen viele Beschäftigte weniger oder gar keinen Urlaub, weil sie dann nicht mit Freunden zusammenkommen oder generell nicht so eine Ansprache haben wie in der WfbM. Für viele unserer Klientinnen und Klienten bedeutet Arbeit nicht nur, Geld zu verdienen, sondern auch, dabei zu sein und Kontakte zu haben.
Michaela Landgrebe: Das Entgelt in der WfbM setzt sich aus einen Grundbetrag und einem Steigerungsbetrag zusammen. Hinzu kommen das Arbeitsförderungsgeld und ein Zuschuss zur Altersrente. Manche Klientinnen und Klienten beziehen zusätzlich Leistungen der Grundsicherung.
Der Grundbetrag hat sich in den letzten fünf Jahren kontinuierlich erhöht und liegt aktuell bei mindestens 126 Euro im Monat. Das Arbeitsförderungsgeld beträgt aktuell 52 Euro im Monat. Dieses erhalten die Klientinnen und Klienten, bei denen Arbeitsentgelt und Arbeitsförderungsgeld zusammen nicht mehr als 351 Euro im Monat ergeben.
Hans-Günter Kripko: Die Erträge der WfbM werden den Kosten des laufenden Betriebs gegenübergestellt. Aus der Differenz ergibt sich das Arbeitsergebnis der WfbM. Davon werden der Grundbetrag und der Steigerungsbetrag bezahlt. Mindestens 70 Prozent des Arbeitsergebnissen muss an die Klientinnen und Klienten ausgezahlt werden, 30 Prozent dienen als Rücklagen. WfbMs, die wirtschaftlich gut aufgestellt sind, können auch mehr als einen Grundbetrag von aktuell 126 Euro im Monat zahlen. Den Grundbetrag erhalten alle Klientinnen und Klienten unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit. Der Steigerungsbetrag ist leistungsabhängig und individuell verschieden und wird anhand von Kriterien wie Arbeitsmenge und -güte verteilt. Wie das funktioniert, schreiben die WfbMs in ihren Entgeltordnungen vor, die gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der WfbM-Beschäftigten erstellt werden.
Michaela Landgrebe: Wir schütten in beiden Geschäftsbereichen deutlich mehr als 70 Prozent an unsere Klientinnen und Klienten aus.
Hans-Günter Kripko: Wir legen Geld drauf, um mehr bezahlen zu können, als wir eigentlich müssten. In unseren Werkstätten gibt es Klientinnen und Klienten, die auf Betriebsintegrierten Beschäftigungsplätzen (BiBs) 500 Euro im Monat bekommen, andere erhalten mit dem Steigerungsbetrag um die 350 Euro, aber fast die Hälfte bekommt auch nur ein bisschen mehr als den Grundbetrag. Im Durchschnitt liegen wir bei einem Entgelt von 200 Euro im Monat. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 214 Euro.
Michaela Landgrebe: Die Spanne ist sehr breit, zwischen einem Klienten, der anspruchsvollere Aufgaben übernehmen kann und einem Klienten, der dies nicht kann. Klientinnen und Klienten in der höchsten Lohnstufe verdienen bei uns 350 Euro im Monat. Damit liegen wir über dem bundesweiten Durchschnitt. Zusätzlich erhalten die Klientinnen und Klienten auch Transferleistungen, die es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gibt. Rechnet man diese zum Entgelt dazu, sind wir nicht mehr weit entfernt vom Mindestlohn.
Michaela Landgrebe: Die Grundsicherung, die rentenrechtliche Sonderregelung, das verbilligte Mittagessen, der Fahrdienst.
Hans-Günter Kripko: Rein volkswirtschaftlich betrachtet, nimmt die Bundesrepublik bei jedem Menschen, der in einer WfbM beschäftigt ist, genügend Geld in die Hand, um ihm Zuwendungen in Höhe des Mindestlohns zu bezahlen. Das läuft aber nicht in Form von Lohnzahlungen, sondern über verschiedene Töpfe: Einzahlung in die Rentenkasse, Erwerbsminderungsrente, Leistungen der Grundsicherung etc. Die Klientinnen und Klienten können also auf Mindestlohn-Niveau leben. Es gibt Berechnungen, die sagen, dass es 3,5 Milliarden Euro pro Jahr kosten würde, wenn WfbM-Klient*innen Mindestlohn erhalten würden. Doch das Geld ist über verschiedene Töpfe schon im System drin.
Michaela Landgrebe: Es gilt ein Nachteilsausgleich bei den Rentenbeiträgen. Die Klientinnen und Klienten, die in Rente gehen, bekommen 80 Prozent des durchschnittlichen Verdienstes aller Versicherten als fiktiven Verdienst für die Rentenberechnung angerechnet. Zusätzlich zu der rentenrechtlichen Sonderregelung besteht nach 20 Jahren Beschäftigung in der WfbM auch ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente.
Hans-Günter Kripko:Die Anzahl der Menschen mit geistiger Behinderung in Werkstätten geht aus mehreren Gründen zurück. Zum einen aufgrund der Alterspyramide und des Lebensalters werden mehr Klient*innen verrentet als aufgenommen. Klient*innen gehen bereits vor dem 65. Lebensjahr in den Ruhestand, auch wegen der vergleichsweise hohen Erwerbsminderungsrente nach bereits 20 Jahren Tätigkeit in der WfbM. Die Entwicklung im Rahmen der Corona-Pandemie hat diesen Trend verstärkt. Durch verbesserte diagnostische Möglichkeiten in der Schwangerschaft, gibt es einen Rückgang von Geburten von Menschen mit Behinderungen. Zudem gibt es verbesserte Fördermöglichkeiten vor und außerhalb der WfbM (Schule, Ausbildung, Maßnahmen der Agentur für Arbeit, Budget für Arbeit, Budget für Ausbildung, etc.). Das führt zu einer deutlich reduzierten Anzahl von Klient*innen im Berufsbildungsbereich der WfbMs.
Michaela Landgrebe: In der Sozialen Rehabilitation streben wir die bereits erwähnte Öffnung sowie eine Verbesserung der Qualität der beruflichen Bildung an. Zudem sollen die Platzzahlen im Berufsbildungsbereich von zu Beginn 50 auf langfristig mindestens 70 Plätze deutlich zunehmen und mithin die Belegung im Arbeitsbereich ausgeweitet werden. Darüber hinaus sollen langfristig die Vermittlungszahlen in Praktika, BiBs, das Budget für Arbeit oder auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gesteigert werden, von derzeit 25 zum jeweiligen Stichtag auf dann zunächst 40.
Hans-Günter Kripko: In der Sozialen Teilhabe verfolgen wir ähnliche Ziele. Auch wir bemühen uns verstärkt um Qualifizierung und suchen Kooperationen mit Betrieben. Gerade in der Qualifizierung haben wir in der Hephata Diakonie eine tolle Palette an Möglichkeiten in Kooperation mit unseren Förderschulen und der Berufshilfe, die wir zukünftig noch besser ausbauen wollen. Auch wir bemühen uns sehr stark um die Vermittlung auf BiB-Plätze, in Budgets für Arbeit und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Aber uns wird es auch in der Zukunft nicht nur um die Vermittlung geeigneter Klient*innen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt oder auf BiB-Plätze gehen, denn uns liegen weiterhin die Menschen mit stärkeren Beeinträchtigungen sehr am Herzen. Insofern wollen wir für diesen Personenkreis auch in der Zukunft die Teilhabe am Arbeitsleben erhalten und ausbauen.
Michaela Landgrebe
Stellvertretende Geschäftsbereichsleitung & Fachbereichsleitung